Turbulente Schlussphase kostet Punktgewinn
In Varel gibt der ATSV Habenhausen einen sicher geglaubten Sieg in den letzten Minuten aus der Hand. Schiedsrichtergespann beim Kartenfestival im Fokus.
„So eine Schlussphase habe ich in meinen 25 Handballjahren noch nicht erlebt.“. Sebastian Heller, Co-Trainer des ATSV Habenhausen, rang nach dem Abpfiff des Auswärtsspiels bei der HSG Varel sichtlich um Fassung. Wenige Augenblicke zuvor war die erste Saisonniederlage seiner Mannschaft, in an Dramatik und Spannung schwer zu überbietenden Schlussminuten, besiegelt worden. Doch von Anfang an.
Trainer Matthias Ruckh hatte seine Mannschaft im Vorfeld auf ein kampfbetontes Spiel eingestellt. „Die Spiele gegen Varel waren in der Vergangenheit immer geprägt von Kampf und Emotionen.“, blickte der Übungsleiter der Partie am ungewohnten Freitagabend erwartungsvoll entgegen. Der Schachzug, den jungen Louis Beyer anstelle von Jan-Ole Harting im rechten Rückraum aufzubieten, sollte sich in den Anfangsminuten als richtig herausstellen. Drei der ersten vier Habenhauser Tore gingen auf das Konto des jungen Linkshänders, der damit für einen ausgeglichenen Start in die Partie sorgte (4:3, 8. Minute). Wenige Minuten später folgte der erste Aufreger des Spiels. ATSV-Kapitän Björn Wähmann holte Varels Renke Bitter in der Luft unsanft von den Beinen. Das junge Schiedsrichtergespann Manuel Kizakis/David Elliot Walsh zeigte Wähmann in der Folge die rote Karte. Es war nicht das erste Mal, dass die beiden Unparteiischen den Unmut der Beteiligten auf sich zogen. Zuvor waren bereits Luc Schluroff und HSG-Akteur Kai Schildknecht mit fragwürdigen Zeitstrafen belegt worden.
Habenhausen ließ sich in der Folge von der überraschend harten Linie des Gespannes nicht beeindrucken. Über 8:5 und 10:7 gelang Lukas Feller in der 26. Spielminute die erstmalige 5-Tore-Führung für seine Mannschaft (13:8). Wenige Augenblicke zuvor verhängten die Unparteiischen weitere Disqualifikationen. Zunächst wurde Fynn Schluroff, ähnlich wie Varels Renke Bitter auf der Gegenseite, in der Luft hart angegangen und zu Boden gestoßen. Bei der harten Linie und in Anbetracht der vergleichbaren Situation um Björn Wähmann eine folgerichtige Entscheidung, die wohl aber den falschen traf. Auf den Aufzeichnungen des Spiels ist zu sehen, dass HSG-Spieler Kai Schildknecht im Zentrum der Aktion stand. Den Platzverweis bekam zur Überraschung aller jedoch Varels Kevin Langer zugesprochen. Auf Seiten Habenhausens war es nun Luc Schluroff, der vorzeitig unter die Dusche geschickt wurde. Der 23-jährige kam gegen Gegenspieler Nicolas Beck zu spät. „Klar, ich erwische ihn, aber das ist eine normale 2-Minuten-Zeitstrafe.“, konnte sich der Linksaußen seine rote Karte nicht erklären.
Die Halbzeit endete mit einer weiteren Kuriosität. Der ATSV verlor wenige Sekunden vor dem Seitenwechsel in der Offensive den Ball. Varels Rechtsaußen Niklas Bachmann stürmte auf Habenhausens Keeper David Ferreira zu und brachte den Ball zum 10:13 aus Sicht der Gastgeber im Tor unter. Die Videoaufzeichnung zeigt: Bei Ablauf der 30-minütigen Spielzeit war der Ball eindeutig nicht über der Torlinie. Zur großen Verwunderung aller Anwesenden gaben die Schiedsrichter den Treffer. Für Matthias Ruckh eine nicht nachvollziehbare Entscheidung: „Eine klare Fehlentscheidung. Jeder hört, dass die Halbzeitsirene ertönt, bevor der Ball im Tor ist.“.
Mit dem Rückenwind des späten Treffers kam die HSG in der zweiten Halbzeit zunächst besser in die Begegnung und konnte durch Renke Bitter schnell den Anschluss herstellen (13:12, 32. Minute). Dank einer konzentrierten Leistung im Angriff und einer, durch die rote Karte gegen Björn Wähmann notwendig gewordenen, agilen 3:2:1-Deckung, überstand der ATSV auch die starken Minuten der Gastgeber. Der an diesem Abend auffällige Louis Beyer und zweimal Fynn Schluroff sorgten knappe acht Minuten vor dem Ende für eine komfortable 5-Tore-Führung (24:19, 52. Minute). 5:30 Minuten vor dem Schlusspfiff deutete weiterhin alles auf einen Auswärtssieg der Bremer hin. Erneut hatte Beyer per Siebenmeter den Vorsprung verwaltet und den 25:21-Führungstreffer erzielt.
Varels sichtlich unzufriedener Trainer Arek Blacha stellte seine Formation für die letzten Spielminuten um und brachte in der Offensive konsequent den siebten Feldspieler. Auf diesen Schachzug war man auf Habenhauser Seite laut Matthias Ruckh vorbereitet: „Wir haben das gut verteidigt bekommen und Varel fast immer ins Zeitspiel gebracht.“. Die letzten Minuten waren geprägt von vergebenen Torchancen. „Vorne verpassen wir es gleich mehrfach den Sack endgültig zuzumachen.“, zeigte sich Ruckh überrascht von der fehlenden Kaltschnäuzigkeit seines Teams. In der 58. Spielminute konnte Varel durch den erfahrenen Lukas Kalafut den erstmaligen Ausgleichstreffer seit dem 3:3 bejubeln. Ruckh reagierte mit einer Auszeit, die ihre Wirkung jedoch verfehlen sollte. Zwar gelangen Fynn Schluroff zwei schnelle Tore zum 26:25 und 27:26, doch Varel glich umgehend aus. Die endgültige Entscheidung sollte in den letzten Sekunden fallen. Anstelle eines kontrollierten Torabschlusses verlor der bis zu diesem Zeitpunkt sechsmal erfolgreiche Lukas Feller fünf Sekunden vor Ultimo im Angriff den Ball. Die HSG warf jetzt alles nach vorne, Fynn Schluroff unterbrach den Vareler Angriff handelsüblich auf Höhe der Mittellinie.
Was dann folgte sorgte für Entsetzen auf Habenhauser- und Jubelstürme auf Vareler Seite. Das Schiedsrichtergespann schickte Schluroff als dritten Habenhauser Akteur mit der roten Karte vom Feld und sprach den Gastgebern mit Ablauf der Spielzeit einen letzten Siebenmeter zu, den der sichere Siebenmeterschütze Louis Kamp zum 28:27-Endstand für die HSG verwandelte. Sprachlos und völlig desillusioniert schlich der ATSV vom Feld. Für Trainer Ruckh die Spitze des Eisbergs: „Diese Entscheidung ist unfassbar und nicht nachvollziehbar. Wie hätte Fynn in dieser Situation anders reagieren sollen?“. Allen Beschwerden zum Trotz: Es half nichts. Die erste Niederlage der immer noch jungen Saison war besiegelt. Varels Matchwinner Kamp sprach anschließend von einem verdienten Sieg seiner Mannschaft. Die letzte von vielen zweifelhaften Wahrnehmungen an diesem Abend, an den alle Beteiligten sicher noch lange zurückdenken werden.
Für den ATSV Habenhausen steht am kommenden Samstag, den 07.10.2023, um 18:00 Uhr das nächste Auswärtsspiel auf dem Programm. Gegner ist der starke Aufsteiger TV Schiffsdorf. „Schiffdorf ist sicherlich kein normaler Aufsteiger. Sie verfügen über eine extrem eingespielte Truppe und haben mit Joel Hoppe und Julian Langwucht auf beiden Halbpositionen zwei herausragende Akutere in ihren Reihen.“, blickt Matthias Ruckh bereits auf die kommende Aufgabe seiner Mannschaft.