Privilegiert und trotzdem unzufrieden
Die Drittliga-Handballer des ATSV Habenhausen dürfen trainieren, aber ihnen fehlt ein klares Ziel
Bremen. Die Zeit um die Feiertage herum ist für die Drittliga-Handballer des ATSV Habenhausen deutlich ruhiger ausgefallen als ursprünglich gedacht. „Je näher es in Richtung Weihnachten ging, desto mehr merkte man es den Spielern auch an, wie schwierig die derzeitige Lage ist“, sagt Matthias Ruckh. Seit dem letzten Onlinetraining am 21. Dezember ruht der Übungsbetrieb der Mannschaft komplett, am kommenden Montag soll es wieder losgehen. Wäre die Saison nicht unterbrochen worden, hätte sich in der 3. Liga beinahe pausenlos Punktspiel an Punktspiel gereiht.
Der Trainer des nunmehr letztjährigen Aufsteigers wird aber nicht müde zu betonen, dass er die Bezeichnung „schwierig“ nur auf die sportliche Ausrichtung und die gegenwärtige Ungewissheit bezogen sehen möchte. Denn der 38-Jährige ist sich bewusst darüber, dass es seiner Mannschaft immer noch besser ergeht als den meisten anderen Menschen, für die die Corona-Pandemie praktisch ein Sportverbot bewirkt hat – mal davon abgesehen, dass Aktivitäten wie Joggen oder Walken individuell erlaubt sind.
Die Vorzüge, die die Drittliga-Akteure aus Habenhausen genießen, betont Matthias Ruckh deshalb auch ohne Unterlass. „Ich sage meinen Spielern immer wieder: Unser Training ist ein Privileg. Geht mal in euer privates Umfeld und fragt nach. Alle würden sich über unsere Situation freuen.“ Und trotzdem ist aus anderem Betrachtungswinkel natürlich verständlich, dass die privilegierten Handballer nicht hocherfreut über ihre Lage sind. „Wir befinden uns in einer mega Schwebe“, sagt der Trainer. Keiner wisse, wann es wieder losgeht. Februar? März? Und keiner wisse, was dann passiert.
Klar sei, so Matthias Ruckh, derzeit nur eines: „Die Sondererlaubnis fürs Training gewährt uns eine gewisse Normalität.“ Eigenverantwortung der Spieler sei gefragt, besonders im Onlinetraining, das seit dem zweiten Lockdown Anfang November zum Standardprogramm des Habenhauser Übungsbetriebs zählt. Zweimal Präsenztraining, einmal Onlinetraining und eine Laufeinheit am Wochenende, um die Belastungssituation während einer normalen Spielzeit zu simulieren: So sieht das Pensum derzeit aus. Das größte Problem dabei: „Es ist so schwer, ohne ein wirkliches Ziel zu trainieren“, sagt Ruckh.
Die Erfahrung aus dem ersten Lockdown helfe – aber eben nur bedingt, weil jetzt Vieles anders ist. Im Frühjahr habe zwar auch keiner gewusst, wie und wann es weitergeht. Zumal damals, Anfang März, noch nicht einmal klar war, wie die damalige Oberliga-Saison gewertet und ob der ATSV überhaupt aufsteigen werde. „Aber als Klarheit über den Aufstieg herrschte, ist unser Ziel immer der Start in der 3. Liga gewesen“, sagt der Trainer. Mit der Euphorie der errungenen Oberliga-Meisterschaft, der freudigen Vorbereitung auf die höhere Spielklasse und der Möglichkeit, im Sommer draußen trainieren zu können, sei es kein großes Problem gewesen, die Spieler bei Laune zu halten. Obwohl auch im Sommer lange noch nicht entschieden war, wann und wie es weitergeht.
Inzwischen hat der Winter Einzug gehalten, ist die Euphorie verflogen, liegt der klasse Saisonstart des Neulings schon zwei Monate zurück. „Aber wir sind wenigstens in der glücklichen Lage, mit Sondergenehmigung weiter trainieren zu dürfen“, sagt der Trainer. Das ist eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Frühjahr, jedoch die einzige. Ein Spannungsbogen, gebildet allein schon durch den Punktspielbetrieb, fehlt.
So kommt es jetzt mehr noch als in einer normalen Saison darauf an, dass der Trainer Reizpunkte setzt und mit Ideen lockt. Gut im Team angekommen sei die Videoanalyse von Punktspielen, die die Akteure in Kleingruppen anfertigen und ihren Kameraden dann vorstellen sollten. Das habe, sagt Ruckh, den Spielern nicht nur Spaß gemacht, sondern ihnen zugleich auch einen anderen Blickwinkel ermöglicht auf das, was sie als Handballer tun. Auch Spaßeinheiten beispielsweise mit einem dem Biathlon ähnlichen Wettbewerb – Schießen allerdings nicht mit Gewehren, sondern mit Handbällen – hätten den Alltag ein bisschen aufgebrochen. Und was immer geht: Fußballspielen. Dafür hat Matthias Ruckh sein Training sogar umgebaut.
Während im Normalbetrieb Fußball das Aufwärmprogramm vor dem Training bildet, beschließt es nunmehr die Einheiten. Zu Beginn stehen mit Hilfe der Physiotherapeutin Jessica Buchholz 30 Minuten Laufschule an – „zur Vorbeugung von Verletzungen“, wie Matthias Ruckh erklärt. Dann folgen etwa 60 Minuten Handballtraining und zum Schluss eine Viertelstunde Fußball. Bei Letzterem gibt es sogar einen Spannungsbogen, denn verlieren will keiner. „Vor allem die Alten ärgern sich, wenn sie gegen die Jungen den Kürzeren ziehen“, sagt der Trainer lachend.
Wenigstens etwas Gutes hat die lange Wettkampfpause auch. Von den drei schwer Verletzten, die der ATSV nach den bisherigen fünf Spielen im Oktober beklagen musste, befinden sich zwei inzwischen wieder im Mannschaftstraining. Kapitän Björn Wähmann, der sich im Training eine schwere Daumenverletzung zuzog, und Janik Schluroff, der gleich beim Saisonauftakt in Hagen einen Schlüsselbeinbruch erlitt, sind wieder fit. Nur bei Torwart René Steffens ist nach wie vor nicht abzusehen, wann er nach seinem Bandscheibenvorfall wieder ins Team zurückkehren wird.
Artikel aus dem Weser Kurier
Veröffentlicht im Weser Kurier am 02.Januar.2021. Geschrieben von Jörg Niemeyer.